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Schadensersatz für Ermittlungsmaßnahmen?

Wer haftet für Schäden, die durch (rechtswidrige) Ermittlungsmaßnahmen verursacht werden?

Strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen können wirtschaftlich ganz einschneidende Folgen haben. Wird etwa bereits frühzeitig ein strafprozessualer Arrest verhängt, kann dies unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit des betroffenen Unternehmens führen. Wird ein Geschäftsführer in Untersuchungshaft genommen, kann dies ebenfalls dramatische Auswirkungen haben – beispielsweise wenn Verhandlungen mit Kreditgebern abgebrochen werden. Stellt sich dann im weiteren Verlauf des Verfahrens heraus, dass die Vorwürfe unbegründet waren, ändert dies meist nichts an den bereits eingetretenen Folgen. Das Insolvenzverfahren ist bei Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen längst beendet. Selbst wenn – selten genug – zeitnah etwa auf eine Beschwerde hin eine Aufhebung der Maßnahmen erfolgt, kommt dies  wirtschaftlich regelmäßig zu spät. Dann stellen sich regelmäßig folgende Fragen: Kann für diese Schäden Schadensersatz verlangt werden? Haftet das jeweilige Bundesland für die Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden?

Entscheidung des OLG Hamm v. 17. Februar 2021

Das OLG Hamm (Urteil vom 17.2.2021 – 11 U 51/19) hat kürzlich eines der seltenen Urteile in diesem Bereich gefällt. Dies soll näher beleuchtet werden. Der Entscheidung lag im Kern folgendes zugrunde: Kläger waren der ehemalige Geschäftsführer einer GmbH sowie der Insolvenzverwalter dieser GmbH. Der Geschäftsführer war wegen des Verdachts, er habe im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit massive Steuerhinterziehung begangen, in Untersuchungshaft genommen. Das Finanzamt erließ Arrestanordnungen in das Vermögen der Gesellschaft. Diese führten zur Insolvenz der Gesellschaft. Die Kläger machten nunmehr geltend, die Anordnung der Maßnahmen sei rechtswidrig, daher sei das Land schadensersatzpflichtig.

Zulässigkeit der Klage: Bejahung des Feststellungsinteresses

Die auf Feststellung der Ersatzpflicht gerichtete Klage war vom Landgericht noch als unzulässig abgewiesen worden. Dem trat das Oberlandesgericht entgegen und ließ die Klage umfassend zu. Insbesondere bejahte der Senat das erforderliche Feststellungsinteresse (Rn. 25):

Den Kl. kann ein Feststellungsinteresse iSd § 256 I ZPO nicht – auch nicht teilweise – abgesprochen werden. Nach dieser Norm kann Klage auf Bestehen eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kl. ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Vorliegend begehren die Kl. die Feststellung der Einstandspflicht des beklagten Landes für Schäden, die ihnen aufgrund des gegen den Kl. zu 1 erlassenen und vollstreckten Haftbefehls vom 10.1.2013 und der vom Finanzamt gegen den Kl. zu 1 und die A-GmbH erwirkten Arrestanordnungen vom 15.1.2013 entstanden sind. Ihnen geht es damit um die Feststellung von Rechtsverhältnissen, welche nach ihrer Ansicht durch ein unrechtmäßiges Handeln der beteiligten Behörden begründet wurden

Immerhin ein Erfolg für die Kläger!

§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG: wann haftet der Staat?

Die Ausführungen zu den Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs sind sodann als Sicht der Kläger weniger erfreulich. Den Maßstab für Schadensersatzansprüche gibt der Senat wie nachfolgend zitiert wieder (Rn. 35):

Nach stRspr. des BGH, welcher der erkennende Senat folgt, sind staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht, wie zB die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, die Erhebung der öffentlichen Klage, die Beantragung eines Haftbefehls oder einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen.

Die einfache Rechtswidrigkeit einer Maßnahme genügt insofern gerade nicht. Und weiter:

Die Vertretbarkeit ihres Handelns darf deshalb nur verneint werden, wenn bei voller Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein staatsanwaltschaftliches oder richterliches Handeln unvertretbar und insoweit amtspflichtwidrig war, trägt grundsätzlich derjenige, der einen Amtshaftungsanspruch geltend macht (vgl. BGH NJW 2019, 227 mwN).

Hohe Hürden für die Begründetheit

Dies bedeutet in der Praxis eine sehr hohe Hürde, gerade in der Kombination des ohnehin zurückgenommenen Maßstabs mit der Beweis- und Darlegungslast. Der Betroffene bzw. das betroffene Unternehmen muss zunächst über die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme auch ihre Unvertretbarkeit darlegen. Dies wird erfolgreich nur in wenigen Fällen gelingen.

Verletzung verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen

In der Praxis erscheint dies allerdings eben auch nicht undenkbar: Gerade bei einer Vielzahl von betroffenen Unternehmen kann es vorkommen, dass Ermittlungsmaßnahmen auf ganz unzureichende Grundlage und ganz unzureichender Prüfung vorgenommen werden. Beispielsweise kommt es vor, dass ein Tatverdacht auf Gesellschaften ausgedehnt wird, die tatsächlich in keiner Weise involviert sind, weil sonstige Verdachtsgründe in Bezug auf andere Gesellschaften einfach auf diese ausgedehnt werden. Die Rechtsprechung ist insofern bewusst restriktiv. An eine Ersatzpflicht kann allerdings zu denken sein, wenn verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an die zugrunde liegenden Beschlüsse nicht erfüllt werden.

Haftung wegen steuerlicher Arrestansprüche?

Ganz Ähnliches führt das Gericht zur Bewertung des steuerlichen Arrestanspruchs aus. Dieser setze eben nicht voraus, dass das Bestehen des zugrundeliegenden Anspruchs bereits feststehe. Insofern genüge eine hinreichende Wahrscheinlichkeit.  Zwar gebe es eine Ermittlungspflicht der Finanzbehörden. Diese dürfe allerdings – so das OLG – gerade angesichts der Eibedürftigkeit nicht überspannt werden.

Bestätigung durch gerichtliche Entscheidungen

Die Entscheidung offenbart zudem ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Schadensersatz für Ermittlungsmaßnahmen. In entsprechenden Fallgestaltungen werden die zugrunde liegenden strafprozessualen Beschlüsse regelmäßig zuerst strafprozessual angegriffen werden. Sofern etwa auf die Beschwerde noch eine Bestätigung der amtsgerichtlichen Entscheidung erfolgt, wird sich eine Unvertretbarkeit im beschriebenen Sinne immer schwerer darlegen lassen. So war es etwa im zugrundeliegenden Fall geschehen.

Schadensersatz für Ermittlungsmaßnahmen – gravierend eingeschränkte Ersatzpflicht

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Ersatzpflicht des Staates für Maßnahmen seiner Ermittlungsbehörden in mehrfacher Hinsicht massiv eingeschränkt ist. Die steht im Missverhältnis zu den gravierenden Folgen, die eine einzige Maßnahme im Ermittlungsverfahren haben kann. Führt etwa ein rechtswidriger Arrest zur Kündigung wichtiger Kreditlinien, kann dies ohne weiteres und binnen kürzester Zeit die Existenz des betroffenen Unternehmens infrage stellen. Angesichts dieser Folgen ist der weit zurückgenommene Maßstab der Unvertretbarkeit kritikwürdig. In rechtsstaatlicher Hinsicht ist gerade bei wirtschaftlich einschneidenden, ggf. existenzvernichtenden Eingriffen besondere Sorgfalt der Ermittlungsbehörden zu verlangen. Diese sollte dann mit einer wirksamen Haftung einhergehen. Die ständige Rechtsprechung der Zivilgerichte beschreitet bedauerlicherweise  einen ganz anderen Weg.

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