Nach langen Vorbereitungen und intensiver Diskussion hat das Bundesjustizministerium den Entwurf zu einem Verbandssanktionengesetz (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft; Stand Juni 2020) vorgelegt. Der Gesetzentwurf stellt eine grundlegende Neuerung im deutschen Recht dar und hat daher in Öffentlichkeit und Presse besondere Aufmerksamkeit erfahren.
Ob und wann der Gesetzentwurf umgesetzt werden wird, ist im Augenblick unabsehbar. Gleichwohl zeichnen sich unabhängig von der konkreten Umsetzung wichtige Leitlinien für die Zukunft des Unternehmensstrafrechts ab.
Grundlegende Neuerung durch Verbandssanktionengesetz
Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen hat das deutsche Recht eine echte strafrechtliche Unternehmensverantwortlichkeit bislang aus im Wesentlichen dogmatischen Gründen abgelehnt. In der wissenschaftlichen Diskussion werden entsprechende Reformbestrebungen seit langem thematisiert. Mit dem Entwurf soll nunmehr eine besondere Form des Ordnungswidrigkeitenrechts geschaffen werden. Diese ist allerdings gerade in seinen Folgen so weitreichend, dass die begriffliche Unterscheidung durchaus zurücktritt.
Weiteres Gesetzgebungsverfahren
Es handelt sich wohlgemerkt um einen Gesetzentwurf. Es ist im Augenblick völlig unabsehbar, in welcher Form und mit welchen Änderungen dieser geltendes Recht werden wird. Gerade für die wirtschaftsstrafrechtliche Praxis hat dies jedoch für die Zukunft ganz erhebliche Bedeutung. Daher sollen einige zentrale Punkte und Aspekte näher vorgestellt werden. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wird dies zu vertiefen sein.
Zentrale Aspekte des Verbandssanktionengesetzes
Zentrale Prämisse des Entwurfs ist, dass das bestehende Recht -insbesondere § 30 OWiG – zu einer angemessenen Ahndung von gravierender Unternehmenskriminalität unzureichend ist. Festgemacht wird dies insbesondere daran, dass die maximale Geldbuße des § 30 OWiG für Großunternehmen unzureichend sei. Dem soll für diese Unternehmen mit einer massiven Erhöhung des Sanktionsrahmens begegnet werden.
Ausgangspunkt: Verbandsstraftat
Voraussetzung einer Verbandssanktion ist, dass eine Leitungsperson eine sogenannte Verbandsstraftat begeht. Der Verband wird gleichsam für das Handeln seiner Leitungspersonen verantwortlich gemacht, sofern diese das Unternehmen betreffende Pflichten verletzen oder dieses bereichern.
Strafbarkeit der Leitungspersonen
Die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit der handelnden Leitungspersonen bleibt – selbstverständlich – unberührt. Insofern ergeben sich vielfältige Wechselwirkungen zwischen der Verteidigung der Leitungsperson und derjenigen des Unternehmens gegen den Vorwurf einer Verbandssanktion. Der Individualverteidigung der beschuldigten Leitungspersonen kommt über die Verbandsgeldbuße gesteigerte Bedeutung zu.
Bedeutung für alle Unternehmen
Das Verbandsanktionengesetz richtet sich grundsätzlich an alle Unternehmen, juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften. Der Begriff des Verbandes ist dabei durchaus weit. Insbesondere werden alle gängigen Rechtsformen, in welchen Unternehmen betrieben werden, erfasst.
Keine Beschränkung auf Großunternehmen
Eine Beschränkung auf Verbände einer bestimmten Größenordnung findet sich gerade nicht. Es steht daher zu erwarten, dass auch Unternehmen, die bei bisheriger Verfolgungspraxis, nicht erfasst waren, zukünftig in den Fokus von Verbandssanktionen geraten werden.
Sanktionen: Von der Verbandsgeldbuße bis zur Auflösung
Das Gesetz zielt gerade auch auf große Unternehmen: für diese sieht es eine Geldbuße in Höhe von bis zu 10 % des Konzernumsatzes vor. Dies lässt Sanktionen in Milliardenhöhe zu. Die konkrete Höhe der Verbandssanktion soll im Wege einer Gesamtabwägung aller relevanten Umstände – durchaus angelehnt an allgemeine Bestimmungen zur Strafzumessung – bestimmt werden.
Maximalsanktion Auflösung
Als maximale Sanktion sieht der Entwurf darüber hinaus sogar die Auflösung des betroffenen Verbandes auf. Insofern stellt sich durchaus die Frage nach der Verhältnismäßigkeit bzw. Praktikabilität einer solchen Regelung.
Bekanntmachung und Verbandssanktionenregister
Daneben ist auch eine Bekanntmachung der Verbandssanktion vorgesehen. Gerade in spektakulären, medial begleiteten Fällen ist die negative Aufmerksamkeit bereits heute hoch; eine offizielle Bekanntmachung wird dies noch verstärken. Zudem soll ein Verbandssanktionenregister geschaffen werden. Die entsprechenden Eintragungen werden sodann Anknüpfungspunkt weiterer Rechtsfolgen sein.
Vermögensabschöpfung
Die Vermögensabschöpfung nach §§ 73ff. StGB steht wohlgemerkt neben der Verhängung der Verbandssanktion. Die Bedeutung der Einziehung – in ihren teils gravierenden Auswirkungen – bleibt damit ungeschmälert.
Bedeutung von Compliance-Maßnahmen
Compliance hat bereits heute einen hohen Stellenwert. Der Entwurf greift dies auf und verstärkt dies noch.
Verbandsinterne Untersuchung
So soll insbesondere eine wirksame verbandsinterne Untersuchung des Sachverhalts strafmildernde Wirkung haben. Für das betroffene Unternehmen kann dies den Anreiz zu wirksamer Sachverhaltsaufklärung durchaus verstärken. Bemerkenswert ist durchaus, dass dies an die Beachtung verfahrensrechtlicher Garantien im Rahmen der internen Untersuchung geknüpft werden soll.
Verfahrensrecht
Die Verhängung von Verbandssanktionen führt – zwangsläufig und trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit der StPO – zu verfahrensrechtlichen Friktionen. Diese sind in der bisherigen Praxis teilweise schon prominent in Erscheinung getreten (hier). Der Entwurf widmet sich ausführlich verfahrensrechtlichen Fragen, etwa der Vertretung des betroffenen Verbandes oder besonderen Einstellungsmöglichkeiten. Im Einzelnen sind diese verfahrensrechtlichen Neuerungen durchaus komplex. Sie sollen in einem weiteren Beitrag näher vorgestellt werden.
Ausblick
Der Entwurf des Verbandssantionengesetz enthält weitreichende Neuerungen, welche – jedenfalls im Grundsatz – für die zukünftige Praxis des Unternehmensstrafrechts prägend sein wird. Wie die gesetzliche Regelung im Detail aussehen wird, bleibt abzuwarten. Dies wird auch nicht zuletzt von politischen Gegebenheiten und Entwicklungen abhängen. Der Entwurf weist jedoch in aller Deutlichkeit die Richtung, in welche die rechtspolitische Entwicklung geht. Grundlegende Rückschritte hinter diesen Diskussionsstand sind nicht zu erwarten. Sofern der Gesetzgeber ein echtes Verbandssanktionengesetz schaffen sollte, wird dies – jedenfalls mittelfristig – auch die Verfolgungsdichte durchaus erhöhen.
Unternehmen sind bereits jetzt gut beraten, die mit dem Entwurf des Verbandssanktionengesetz verbundenen Neuerungen frühzeitig in den Blick zu nehmen.
Dr. Jan Philipp Book
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