Eine der häufigsten Fragen an jeden Strafverteidiger lautet sicher: welche Strafe bekomme ich? Ebenso beliebt: was passiert im worst case? Auf diese Fragen gibt es nahezu nie eine klare Antwort. Zu sehr hängt die konkrete Strafe von den Gegebenheiten des Falles, der Entwicklung des Prozesses und der Einstellung der Beteiligten ab. Eine grobe Orientierung ist jedoch meist möglich. Die Erfahrung lehrt, dass schon eine solche bewusst ungenaue Einordnung des zu erwartenden Strafmaßes hilfreich ist. Im Folgenden sollen daher einige wenige Leitlinien dazu vorgestellt werden, welche Strafe im Fall von „Insolvenzverschleppung“ droht. Auch hier gilt natürlich, dass sich schematische Antworten verbieten. Gleichwohl gibt es durchaus typische Gesichtspunkte und Aspekte, die eine Einordnung ermöglichen.
Allgemeines zur Strafzumessung
Das deutsche Strafrecht kennt kein starres System konkret zugewiesener Strafen. Vielmehr enthalten die einzelnen Tatbestände weit reichende Strafrahmen (etwa „Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren“). Innerhalb dieses Strafrahmens obliegt es dem erkennenden Gericht, die konkret schuldangemessene Strafe im Einzelfall zu bestimmen.
Geldstrafe
Die meisten Straftaten werden mit Geldstrafen geahndet. Diese bemessen sich nach sogenannten Tagessätzen (§ 40 StGB). Ein solcher soll grundsätzlich dem Nettoeinkommen eines Tages entsprechen, und wird zwischen einem und 30.000 € festgesetzt. Grundsätzlich werden zwischen 5 und 360 Tagessätze verhängt.
Freiheitsstrafen
Zeitige Freiheitsstrafen können von einem Monat bis zu 15 Jahren reichen. Entscheidend ist der jeweils vorgesehene Strafrahmen der im Einzelnen verwirklichten Vorschrift. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren können unter bestimmten Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden.
Konkrete Strafzumessung
Die konkrete Strafzumessung richtet sich im Wesentlichen nach dem Maß der Schuld. § 46 StGB nennt dabei die wesentlichen Gesichtspunkte, die in der insoweit anzustellenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind:
- die Beweggründe und die Ziele des Täters,
- die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
- das Maß der Pflichtwidrigkeit,
- die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
- das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie
- sein Verhalten nach der Tat,
Diese allgemeinen Gesichtspunkte muss das Gericht in jedem Einzelfall in eine konkrete Strafe übersetzen. Diese soll dabei alle Besonderheiten des Falles berücksichtigen, orientiert sich aber durchaus an in ähnlichen Konstellationen verhängten Strafen.
Strafrahmen der Insolvenzverschleppung (§ 15 a Abs. 4 InsO)
Die Insolvenzverschleppung sieht einen Strafrahmen vor, welcher von Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren reicht. Dies bedeutet, dass auf Freiheitsstrafen denkbar sind, welche nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können. In der Praxis sind diese – allein auf eine Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung gestützt – allerdings durchaus selten. Dies kommt eher in Betracht, wenn weitere Delikte verwirklicht sind und/oder besonders hohe Schäden, etwa bei Gläubigern, zu beklagen sind.
Wichtige Umstände für die Strafe bei Insolvenzverschleppung
Wie spät wird der Insolvenzantrag gestellt?
Ein zentraler Umstand für die Strafe bei Insolvenzverschleppung ist regelmäßig die Tatsache, wie viel Zeit zwischen der Insolvenzreife und der Stellung des Insolvenzantrages verstrichen ist. Handelt sich lediglich um einen einige Wochen zu spät gestellten Antrag, ist dies strafzumessungsrechtlich anders zu bewerten, als ein Antrag, der erst Jahre nach Insolvenzreife gestellt wird
Umfang der offenen Verbindlichkeiten
Daneben ist der Umfang der offenen Verbindlichkeiten von Bedeutung. Straferschwerend werden Verbindlichkeiten betrachtet, welche erst nach Eintritt der Insolvenzreife begründet worden sind. Insofern ist die (vorsätzliche) Schädigung von Gläubigern als verschuldete Auswirung der Tat zu berücksichtigen, wenn dies nicht schon nach anderen Vorschriften – etwa wegen Betruges nach § 263 StGB – der Fall ist.
Motivation des Geschäftsführers
Auch die Motivation, auf welcher das Handeln oder Unterlassen beruht, wird regelmäßig für die Strafe bei Insolvenzverschleppung von Bedeutung sein. So gibt es beispielsweise nicht selten Fälle, in denen ein rechtschaffener Geschäftsführer zu lange an einem Unternehmen und Geschäftsmodell festhält, etwa weil es sich in geschäftlicher Hinsicht um sein Lebenswerk an. Teilweise wird in diesen Fällen gegen jede wirtschaftliche Vernunft noch versucht, das Unternehmen mit privatem Kapital am Leben zu erhalten. Ein solcher Fall ist strafzumessungsrechtlich anders zu bewerten, als derjenige, in welchem ein Unternehmen bewusst in die Insolvenz getrieben wird, um sich vermeintlich lästigen Pflichten zu entziehen.
Persönliche Umstände des Beschuldigten
Auch persönliche Umstände haben Gewicht für die Strafe bei Insolvenzverschleppung. Zu nennen sind insbesondere einschlägige Vorstrafen. Eine solche strafrechtliche Vorbelastung, etwa weil bereits Verurteilungen wegen Insolvenzstraftaten vorliegen, wird regelmäßig besonders negativ gewertet. Nach allgemeinen Grundsätzen können jedoch auch persönlichen Verhältnisse Berücksichtigung finden – etwa wirtschaftliche Vorbildung und Erfahrung, aber auch Erkrankungen. Die finanziellen Folgen einer Unternehmensinsolvenz für den Inhaber – etwa wegen gravierender zivilrechtlicher Haftung – können ebenfalls relevant sein.
Typische Begleitstraftaten: Bankrottdelikte und § 266a StGB
Neben der Insolvenzverschleppung werden typischerweise eine Reihe weiterer Delikte verwirklicht. In erster Linie zu nennen sind hierbei das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) und die sogenannten Bankrottdelikte des § 283 StGB. Werden in der Krise des Unternehmens Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr gezahlt, obwohl dies noch möglich wäre, stellt dies grundsätzlich eine eigenständige Straftat dar. Strafzumessungsrechtlich ist insoweit die Höhe der offenen Verbindlichkeiten gegenüber Sozialversicherungsträgern entscheidend.
Befindet sich das Unternehmen bereits in der Krise und droht die Insolvenz, so stellt § 283 StGB eine Reihe von Verhaltensweisen, welche mit einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung nicht vereinbar sind, unter Strafe. Zentrales Beispiel sei das Beiseiteschaffen von verbleibenden Vermögenswerten genannt. Treffen – wie so häufig – unterschiedliche Straftaten zusammen, wird eine Gesamtstrafe aus den im Einzelnen verhängten Strafen gebildet.
Nachtatverhalten
Auch den Verhalten des Verantwortlichen nach der Tat kommt Gewicht zu. Werden Versuche unternommen, Verantwortlichkeiten zu verschleiern, wird die strafschärfend berücksichtigt. Zu nennen ist insbesondere die sogenannte Firmenbestattung, welche regelmäßig Bankrottdelikte verwirklicht. Auf der anderen Seite kann und wird etwa die Kooperation mit dem Insolvenzverwalter und ein ehrliches Bemühen, insolvenzrechtlichen Pflichten nachzukommen, in Bezug auf die Strafe bei Insolvenzverschleppung berücksichtigt.
Inhabilität nach dem GmbH-Gesetz
§ 6 Abs. 2 Nr. 3 a.), b.) GmbH führt eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung dazu, dass der Verurteilte für die Dauer von fünf Jahren von Gesetzes wegen nicht Geschäftsführer sein kann. Hiervon betroffen sind selbstverständlich auch Tätigkeiten in anderen Unternehmen.
Einstellungsmöglichkeiten der Strafprozessordnung
Die Strafprozessordnung kennt durchaus Möglichkeiten, ein Verfahren ohne Verurteilung einzustellen. Zu nennen sind hier insbesondere die Einstellungen nach § 153 StPO und § 153a StPO. Eine Erledigung in diesem Wege, welche regelmäßig nicht mit weiteren negativen Folgen verbunden ist, wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Straftaten – ihre Begehung unterstellt – nicht gravierend sind. Insofern ist auch die strafrechtliche Vorbelastung von Bedeutung. Liegt eine solche nicht vor, dürfte die Einstellungsmöglichkeit näher liegen.
Im Falle des § 153a StPO wird die Einstellung mit einer Verpflichtung zur Zahlung einer Geldauflage verbunden. Praktisch handelt es sich hierbei um ein durchaus wichtiges Instrument.
Strafverteidigung und Strafzumessung
Die vorstehenden Ausführungen geben eine allgemeine Orientierung. Es gibt insoweit allerdings zwischen den einzelnen Bundesländern durchaus Unterschiede in der Strafzumessungspraxis.
Das konkrete Ziel der Strafverteidigung ist in Fällen, in denen ein Freispruch nicht zu erreichen sein wird, anhand dieser Kriterien zu umreißen. Erst dann kann eine wirksame Verteidigungsstrategie entwickelt werden. In jedem Fall gilt: je früher die Verteidigung auf das Verfahren Einfluss nehmen kann, desto besser – auch und gerade mit Blick auf eine spätere Strafzumessung.
Dr. Jan Philipp Book
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