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Cum-Ex – Entscheidung des BGH

Der BGH begründet erstmals ausführlich die Starfbarkeit von Cum-Ex Aktiengeschäften.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2021 (1 StR 519/20) zur Strafbarkeit von Cum-Ex Transaktionen hat auch in den Medien hohe Wellen geschlagen. Wir hatten die Entscheidung in Kernpunkten, soweit sich diese aus der Pressemitteilung ergaben, bereits vorgestellt. Nunmehr liegen die schriftlichen Urteilsgründe des BGH vor. Erstmals äußert sich dieser ausführlich zu den steuerstrafrechtlichen Grundlagen in Bezug auf Cum-Ex Transaktionen und geht auf die in steuerlicher Hinsicht vorgebrachten Argumente ein. Das soll Anlass sein, die Entscheidung insbesondere in ihrer Begründung näher vorzustellen.

Cum-Ex Aktiengeschäfte – Sachverhalt

Der im Revisionsverfahren ergangenen Entscheidung lag ein Urteil des Landgerichts Bonn zu Grunde (62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19). Der BGH fasst den Sachverhalt zentral wie folgt zusammen (Rn. 5; siehe auch hier):

Gegenstand des Verfahrens ist die Beteiligung der beiden Angeklagten an sogenannten „Cum-Ex-Aktiengeschäften“ in den Jahren 2007 bis 2011, mit denen Profite aus der unberechtigten Geltendmachung nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlägen generiert und über den Abschluss von Kurssicherungsgeschäften unter den Akteuren verteilt wurden.

Auf die einzelnen Elemente dieser Zusammenfassung wird im Folgenden näher einzugehen sein. Allen abgeurteilten Taten lagen Leerverkäufe zu Grunde, verkauft wurden Aktien mit Dividendenanspruch, geliefert wurden Aktien ohne Dividendenanspruch. Zum Ausgleich erhielt der Käufer eine Dividendenkompensationszahlung in Höhe der Netto-Dividende. Der Steuerabzug, welchen das den Verkauf ausführende Kreditinstitut hätte vornehmen müssen, unterblieb jedoch. Gleichwohl erhielten die Käufer neben der Netto-Dividende auch eine Bescheinigung über einbehaltene Kapitalertragsteuer. Die Depotbanken auf Käuferseite beantragten sodann die Erstattung. In den Eigenhandelsfällen stellte sich der Käufer die Bescheinigung als seine eigene Depotbank aus. Die Bescheinigung wurde sodann den Steuerbehörden vorgelegt, sodass eine Anrechnung bzw. Erstattung der tatsächlich nicht abgeführten Kapitalertragssteuer erfolgte.

Die Handelsgeschäfte waren für den Käufer zunächst wirtschaftlich bestenfalls neutral. Der Handel als solcher generierte – wie allen Beteiligten klar gewesen sei – keine Profite. Diese verblieben zunächst wirtschaftlich betrachtet beim Verkäufer, welcher lediglich eine Netto-Dividenden- Kompensationszahlung an den Käufer zu leisten hatte, seinerseits aber keine Steuer abgeführt oder einbehalten hatte. Dieser Profit wurde sodann – so die Feststellung des Tatgerichts – über Futures unter den Beteiligten verteilt. Zu diesem Zweck wurden eigens nicht marktgerechte Geschäfte abgeschlossen. Angesichts der vergleichsweise geringen Gewinnspanne der einzelnen Transaktionen wurden Handelsgeschäfte im großen Umfang mit entsprechender Hebelwirkung durchgeführt.

Nach diesem Grundmuster erfolgten in 11 Fällen im Einzelnen immer wieder variierte Handelsgeschäfte um den Dividendenstichtag. Diese erstrecken sich über die Jahre 2007 bis 2011. Auf die Einzelheiten (und gegebenenfalls abweichenden Besonderheiten) der jeweiligen Tatvorwürfe kann und soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.

BGH: Strafbarkeit von Cum-Ex Aktiengeschäften

Der BGH bestätigt die zentrale rechtliche Würdigung des Landgerichts, nach welcher die Körperschaftsteuererklärungen unrichtige Angaben i.S.d. § 370 AO enthalten hätten. Den Erklärungsgehalt der Steuererklärung beschreibt der Bundesgerichtshof wie folgt (Rn. 50; Hervorhebung d. Verf.):

Die Körperschaftsteuererklärungen der Einziehungsbeteiligten sowie die beigefügten Steuerbescheinigungen enthielten betreffend den jeweiligen Veranlagungszeitraum die steuerlich erhebliche Angabe, dass auf von der W. Bank […] vereinnahmte Kapitalerträge Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge tatsächlich einbehalten worden seien.

Diese Angabe sei auch unrichtig, da ein tatsächlicher Einbehalt nicht stattgefunden habe. Insbesondere setze die Anrechnung der Körperschaftsteuer voraus, dass diese zuvor tatsächlich erhoben worden ist (Rn. 54):

Dass die Anrechnung der Kapitalertragsteuer als Erhebungsform der Körperschaftsteuer vergleichbar einer Steuervorauszahlung die vorherige Erhebung der Steuer erfordert, ist nach der Systematik der Steueranrechnung evident und Grundvoraussetzung für die Anrechnung von Abzugsteuern

Insbesondere gebe es keinen fiktiven Erstattungsanspruch, der unabhängig von der tatsächlichen Abführung lediglich aufgrund der Bescheinigung einen Steuerabzug ermögliche. Ein solcher sei auch nicht erfolgt, da insbesondere die Depotbanken der Verkäufer die erhaltenen Beträge vollständig zu Gunsten der Verkäufer buchten, und nicht etwa teilweise einbehielten. Daher – so der BGH – liegen die Voraussetzungen der Anrechnung nicht vor. Der Senat führt aus (Rn. 63):

Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Steueranrechnung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG (in der für die VZ 2007-2011 geltenden Fassung) bzw. § 11 Abs. 2 Satz 1 InvStG (in der für die VZ 2009, 2010 geltenden Fassung) waren entgegen den Angaben gegenüber den Finanzbehörden jedoch nicht erfüllt; denn es fehlte an einer Erhebung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag auf die Dividendenkompensationszahlungen.

Dies ist im Kern – und leicht vereinfacht – die rechtliche Begründung des Bundesgerichtshofs. Steuerrechtliche Argumente für die Zulässigkeit der Anrechnung, in der Vergangenheit immer wieder ins Feld geführt worden waren, werden insoweit nicht mehr durchdringen. In steuerstrafrechtlicher Hinsicht sind dies die Leitlinien, an denen sich die künftige Praxis orientieren wird.

Kein wirtschaftliches Eigentum im Sinne des § 39 AO

Der Senat führt weiter aus, die Käufer seien insbesondere zum Zeitpunkt der Gewinnverteilungsbeschlüsse nicht zivilrechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer (§ 39 AO) der Aktien gewesen. Dies widerspreche insbesondere der Grundannahme des § 39 AO, nach welchem ein Wirtschaftsgut und seine Erträge nicht sogleich zwei Steuersubjekten zugeordnet werden könnten. Bleibe dies außer Acht, käme es zu einer Vervielfältigung von anzurechnenden Anrechnungsansprüchen (Rn. 79):

Anderenfalls würde es zu einer mit dem Wesen der Steuererstattung nicht zu vereinbarenden Vervielfältigung – wie in den verfahrensgegenständlichen Fällen oder gar in einer Lieferkette zugunsten mehrerer Leerkäufer – von anzurechnenden Ansprüchen kommen, obwohl Kapitalertragsteuer nur einmal, nämlich vom Emittenten der Aktien auf die Dividenden, einbehalten wurde.

Dies sei auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vereinbar. Schließlich führt der Senat Folgendes aus:

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht zudem eine Zurechnung bzw. eine Verdopplung des Steuerabzugs auf die von dem Emittenten der Aktien ausgeschüttete Dividende auf das Steuerschuldverhältnis des Leerkäufers abgelehnt.

Das Einbehalt durch den Emittenten sei auch nicht aus dem Grunde maßgeblich, da dieser als Schuldner der Kapitalerträge definiert werde (§ 45a Abs. 3 S. 3 2 HS. EStG). Dies diene im wesentlichen der Verfahrenserleichterung. § 44 Abs. 1 S. 3 EStG verpflichte die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle anstelle des Schuldners der Kapitalerträge zum Steuerabzug. Daher sei eine doppelte Abzugspflicht auch nicht zu besorgen.

Vorsatz bei Cum-Ex Aktiengeschäften

Darüber hinaus sei auch der Vorsatz der Beteiligten rechtsfehlerfrei festgestellt. So habe ein Zeuge mit Blick auf die verabredeten Geschäfte bekundet, alle Fakten hätten unter den Beteiligten „auf dem Tisch gelegen“. Die erwarteten Profite seien konkret berechnet und ihre spätere Verteilung bereits im Vorfeld vereinbart worden. Die in Rede stehenden Aktiengeschäfte seien allesamt kurz vor dem Dividendenstichtag erfolgt. Den Verantwortlichen als professionellen Bankkaufleuten sei bewusst gewesen, dass der einzige wirtschaftliche Sinn der Geschäfte in den Steuererstattungen lag. Ohne die Geltendmachung der Steueranrechnung hätten diese insbesondere aufgrund der Transaktionskosten wirtschaftlich zu Verlusten geführt. Schließlich habe man die Strategie an steuerliche Änderungen angepasst.

Einziehung: einschneidende finanzielle Folgen

Das Tatgericht hat zudem ganz weit reichende Einziehungsentscheidungen getroffen. Auch diese werden vom BGH bestätigt. Insbesondere unterliegen hiernach sämtliche der W. Bank zugeflossenen Steuererstattungen in Höhe von ca. 166 Millionen € in voller Höhe der Einziehung. Nach dem Bruttoprinzip scheide die Anrechnung von Kosten – etwa Gebühren und Gewinnbeteiligungen – von vornherein aus.

Sämtliche dieser genannten Aufwendungen unterfallen dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB, da sie für die Vorbereitung oder Begehung der eigentlichen Straftat, der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO getätigt wurden.

Auch die steuerliche Verjährung der Rückzahlungsansprüche hindere die steuerstrafrechtliche Einziehung von Taterträgen nicht. Dies folge aus § 73e Abs. 1 S. 2 StGB, welcher zum ein 20. Dezember 2020 eingeführt worden sei. Nach Art. 316j EStGB finde die Vorschrift vorliegend auch Anwendung; entscheidend sei der Zeitpunkt der Revisionsentscheidung.

Die offenbar rechtsstaatlich vor dem Hintergrund des Rückwirkungsverbots noch als problematisch empfundene Rechtsfolge rechtfertigt der BGH uneingeschränkt. Unter Hinweis auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 2021 – 2 BvL 8/19) führt er apodiktisch Folgendes aus:

Durch die ordnende Funktion des Vermögensabschöpfungsrechts, das seinen Ausgangspunkt in den strafrechtlichen Bewertungen des Gesetzgebers findet, soll sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird und deshalb keinen Bestand haben kann

Dies verdeutlicht klar die Entschiedenheit, mit welcher das Einziehungsrecht zur Anwendung gebracht wird.

Ausblick und Verteidigungschancen

Die Entscheidung des BGH normiert die praktischen Leitlinien für die künftige Ahndung von Cum-Ex Transaktionen. Es steht zu erwarten, dass die Strafverfolgungsbehörden diese Nummer intensiv vorantreiben werden. Immerhin liegen sprechende Taten bereits eine Reihe von Jahren zurück.

Die Entscheidung bedeutet jedoch keineswegs, dass Verteidigung gegen entsprechende Vorwürfe aussichtslos ist. Zu berücksichtigen ist insofern insbesondere die subjektive Tatseite: dies gilt insbesondere auch für die erteilte Rechtsberatung, welche teilweise zu Zulässigkeit entsprechender Geschäfte kam. Entscheidend ist im Einzelfall auch immer die konkrete Einbindung des Beschuldigten in entsprechende Geschäfte und sein konkretes Wissen um einzelne Umstände. In der Praxis stellt sich dies durchaus komplizierter dar, als der vorliegenden Fallgestaltung zu Eigen. So liegt der BGH beispielsweise großes Gewicht auf die Abreden zur späteren Gewinnverteilung und den fehlenden wirtschaftlichen Sinn der Geschäfte. Wo diese fehlen oder nicht nachweisbar sind, ist die Feststellung der subjektiven Tatseite wesentlich erschwert.

In ihren Ausführungen zum Einziehungsrecht bei Cum-Ex Transaktionen zeigt die Entscheidung, wie weitreichend dieses mittlerweile ist und wie entschieden Gerichte davon Gebrauch machen. Dies wird an anderer Stelle noch näher darzustellen sein. Insofern zeigt sich wieder, welcher grundlegende Umgestaltung die Gesetzesreform von 2017 bedeutete.

Jede Verteidigung gegen Vorwürfe im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktion muss die Leitentscheidung des BGH intensiv in den Blick nehmen.

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